Tamirah auf der Suche nach dem Sinn des Lebens 

Teil II

 

Gewidmet meinem lieben Freund Andy

copyright by elke j. michel im januar 2003

 

Tamirah, die kleine Nixe ging wie jeden Morgen über den herrlich weisen Sandstrand ihrer unberührten Koralleninsel, die wie eine Perle im im tiefen, blauen Ozean funkelte. Wieder ein mal  richtete sich ihr Blick bis weit zum Horizont, dort wo der Himmel das Meer berührte und hoffte, dort eine Antwort auf all ihre Fragen zu finden.

Tamirah war vor langer Zeit zu den Menschen an Land gegangen, hatte sich die für Nixen typische Schwanzflosse in Menschenbeine verzaubern lassen und ihren Traumprinzen gefunden. Sie musste jedoch bitterlich feststellen, wie beschwerlich und schmerzhaft der Weg auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sein konnte. Nach vielen Enttäuschungen war sie dann zu ihrem Vater, dem großen Triton, ins Meer zurückgekehrt.

Tamirah hatte aber nie wirklich ihr Glück gefunden. Immer wieder quälte sie die Frage nach dem Sinn des Lebens.

Nun wurde sie langsam müde vom vielen Laufen und ließ sich in den herrlich warmen Sand fallen. Sie beobachtete die vielen Delfine, die sie wie jeden Morgen freundlich begrüßten und mit ihren lustigen Kunststückchen ein Lächeln auf ihr Gesicht zauberten.

Tamirah liebte es, das Wasser und den Himmel mit den wechselnden Farben zu beobachten. Auch am Abend saß sie hier, um sich das Schauspiel an zu sehen, wenn die blutrote Sonne im Meer versank.

Da wurde sie wieder ganz traurig, als sie so über ihr Leben nachdachte und schloss langsam die Augen. Sie bemerkte nicht, wie sie darüber einschlief.

Plötzlich fiel ein dunkler Schatten auf ihr Gesicht, und Tamirah spürte, wie ihr Gesicht von Tränen feucht geworden war.

"Warum weinst Du, Tamirah?" hörte sie eine Stimme neben sich rufen. "Was ist denn passiert?" Durch den Schleier ihrer Tränen konnte sie einen wunderschönen, großen Vogel erkennen, der sich neben ihr im Sand niedergelassen hatte. "Wer bist Du?" fragte Tamirah erschrocken. "Ich habe Dich hier noch nie gesehen."

Mein Name ist "Mr. Präsident", der Herrscher der Lüfte. Das Land, in dem ich wohne, liegt sehr weit entfernt von hier. Dort ist alles leicht und wunderbar." Der Albatros weitete seine gewaltigen Flügel aus, und Tamirah war fasziniert von seiner Stärke.

 

Sie hörte dem großen Vogel gespannt zu, und dann erzähle sie von all den vielen Fragen, die ihr bisher niemand beantwortet hatte und dem langen Weg auf der Suche nach dem Sinn ihres Lebens.

Mr. Präsident antwortete schließlich, "Tamirah, Du hast einen schweren und enttäuschenden Weg hinter Dir. Sag, möchtest Du mit mir kommen in mein Land?"

Tamirah sah den Albatros mit großen Augen an, "In ein anderes Land? Wo ist das, und wie lebt man dort?"

"Es liegt nicht auf dieser Welt. Dort gibt es keinen Schmerz und keine Falschheit der Menschen," antwortete der majestätische Vogel.

"Wo liegt es denn dann, wenn nicht auf dieser Welt?" rief die kleine Nixe ungeduldig.

Mr. Präsident antwortete nach einer kleinen Pause, "Das Land, von dem ich spreche, liegt in deiner Fantasie. Auch ich komme dort her. Ich habe Dein Herz weinen gehört, und so bin ich zu Dir gekommen, um Dir beizustehen. Möchtest Du mir also folgen?"

Tamirah senkte den Kopf, und ihr Blick viel traurig auf den weisen Sand, der vor ihr in der Sonne klitzerte, "Ja, ich möchte schon gerne mit kommen, aber ich habe Angst."

"Du brauchst Dich nicht zu fürchten, mein Kind. Ich werde Dich beschützen. Komm, setze Dich auf meinen Rücken, und wir fliegen los. Doch bevor Du Dich bereit machst, reise mir noch eine große Schwanzfeder aus. Die halte fest in Deiner Hand, und verliere sie nicht. Komm jetzt, wir machen uns auf den Weg."

Der Albatros breitete seine großen Schwingen aus und schaute gen Himmel. Tamirah sah ihn fragend an, "Warum soll ich Dir eine Schwanzfeder ausreisen? Was hat das zu bedeuten?" 

" Auf dem Weg in das Land Deiner Fantasie müssen wir zuerst durch die dunklen Abgründe Deiner Seele fliegen," antwortete Mr. Präsident vorsichtig.

Tamirah erschrak und war völlig verwirrt. Sie wollte wieder auf den Boden zurück springen, aber der Albatros hatte sich schon hoch in die Lüfte geschwungen. Die kleine Nixe weinte bitterlich, und der große Vogel tröstete sie, " Hab keine Angst, kleine Tamirah. Aber, erst, wenn wir durch die dunklen Seiten Deiner Seele geflogen sind, dann bist Du frei und kannst in das Land Deiner Fantasie gelangen. Zuerst jedoch musst Du Deine Ängste, Deine Zweifel und Deinen verlorenen Glauben besiegen. Dann sind wir da."

Die kleine Nixe konnte nicht aufhören zu weinen, "Nein, das schaffe ich nicht. Ich will wieder zurück. Bitte, großer Albatros, bring mich wieder Heim.

"Nein", antwortete der majestätische Vogel. "Das geht nicht mehr. Auf diesem Weg gibt es kein Zurück. Du willst doch den Sinn Deines Lebens ergründen. Du schaffst es. Das weiß ich. "Und, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert, dann hast Du meine Schwanzfeder, die Dir jede Tür aufschließen wird. Bitte denke nur an das wunderschöne Land, das Dich erwarten wird, wo es keinen Schmerz und kein Leid gibt. 

Halte durch, Tamirah....!!!"

Die kleine Nixe wischte sich die Tränen ab und versuchte jetzt, ihre große Angst vor dem Albatros zu verbergen. Sie zitterte, ließ es ihn jedoch nicht merken. Sie wollte unbedingt in dieses wunderschöne Land gelangen. Dorthin, wo alles so leicht war. 

Plötzlich wurde es dunkel um sie herum, und man konnte die Hand vor Augen nicht mehr sehen.

"Wo sind wir, Mr. Präsident? Was um Gottes Willen ist das?" schrie Tamirah.

Der Albatros antwortet kaum hörbar, "Wir sind jetzt in den tiefen Abgründen Deiner Seele. Halte Dich gut fest und achte darauf, was ich Dir sage."  

"Ja, gut," rief die Nixe.

Da gab es plötzlich einen gewaltigen Windstoß. Der wunderschöne Vogel mit Tamirah auf dem Rücken wurde wie eine Feder durch die Luft gewirbelt. 

Die kleine Nixe hielt sich krampfhaft an dem starken Albatros fest. Er rief ihr immer wieder etwas zu, aber durch den lauten Sturm konnte ihn Tamirah nicht mehr hören.

Da gab es auf ein mal einen ohrenbetäubenden Knall, und Tamirah fühlte sich, als hätte jemand ihr Leben ausgelöscht. Sie wurde besinnungslos...

Alles war still und dunkel um sie herum. Nach einer ihr endlos scheinenden Zeit, fühlte sie endlich wieder Leben in sich. Langsam erwachte sie und schaute sich ängstlich um.

Was war nur geschehen? Wo war der große Albatros, und wo war sie hier? Überall um sie herum war es dunkel. Nur der große Silbermond schaute auf sie herab. Tamirah begann zu zittern. Jetzt erst bemerkte sie die bittere Kälte, die sie umgab. Da rannen ihr wieder die Tränen über die Wangen, und große Angst erfasste sie.

Waren das die tiefen Abgründe ihrer Seele, von denen der Albatros gesprochen hatte? War es wirklich so dunkel in ihrer Seele?

Traurig und mit Tränen überströmt, schaute Tamirah hinauf zum Mond, dessen Licht die Umgebung nun in eine Gespensterlandschaft tauchte. Sie konnte jetzt erkennen, dass überall um sie herum eine völlig verdorrte und zerstörte Natur lag. Die Bäume waren abgestorben und hatten ihre Blätter abgeworfen. Auch Blumen standen dort. Aber ihre Köpfe hingen bis zum Boden herab.

Tamirah schaute wieder hinauf zum Mond, "Lieber Mond, kannst Du mir helfen? Wo bin ich hier, und wie komme ich in das wunderbare Land?"

Der Mond antwortete mit einer dunklen, erhabenen Stimme, "Du bist hier im Land Deiner Seele, die sich Angst nennt. Deine Angst lähmt Dich so sehr, dass sie Dich daran hindert, Dein Leben zu genießen. So wie diese Landschaft hier, so wirst auch Du verwelken, wenn Du hier verharrst und nicht weiter gehst."

Tamirah erschrak sehr über das, was der Mond da gesagt hatte und fragte mit zitternder Stimme," Was kann ich tun, lieber Mond, um meine Angst zu überwinden, und wie komme ich hier wieder heraus?"

Der Mond hatte Mitleid mit der kleinen Nixe und antwortete, " Folge diesem Weg hier, auf den mein Licht fällt. Ich werde Dich begleiten. Schaue nicht nach links und rechts, und auf keinen Fall zurück. Das musst Du mir versprechen, sonst kann ich Dir leider nicht helfen. Der Weg ist sehr beschwerlich, aber am Ende wirst Du ein großes Tor finden. Es ist fest verschlossen, aber mit der Schwanzfeder des großen Albatrosses kannst Du es aufschließen. "

Tamirah zittere immer noch, nickte jedoch bereitwillig und ging schnellen Schrittes los. Der Weg war tatsächlich sehr beschwerlich. Immer wieder ging er bergauf; steil bergauf; dann wieder stark nach unten. Da hörte sie Stimmen rufen, "Tamirah, gib auf. Das schaffst Du nicht. Kommt mit mir, hier entlang." Die Rufe wurden immer lauter und durchdingender.

Doch die kleine Nixe ließ sich nicht beirren, schaute weder nach rechts, noch nach links und folgte dem Weg nach vorne. Als sie schon völlig erschöpft war und nicht mehr an das Ende des Weges glauben konnte, erblickte sie plötzlich ein großes, eisernes Tor. Mit zitternden Händen steckte sie die große Schwanzfeder des Albatrosses hinein und drehte sie im Schloss herum.

Mit einem lauten Knarren öffnete sich das Tor, und Tamirah schritt mit bangem Herzen hindurch.  

Schnell schloss sie die Augen und wartete....

Ihre Angst hatte sie zwar überwunden, doch was würde sie im Land der Zweifel erwarten? Nach einer Weile schlug Tamirah vorsichtig die Augen wieder auf und konnte nicht glauben, was sie da  sah.

Es funkelten Tausende von Sternen am Himmel und tauchten eine völlig zerklüftete Landschaft in ein herrlich blaues Licht. Auf der rechten Seite ragten hohe felsige Berge bis in den Himmel. Auf der anderen Seite befand sich ein tiefer Abgrund, der in einen großen Tal endete, und ein gewaltiger Wasserfall stürzte von den Hängen herab. All das war ein unbeschreiblicher Anblick, und Tamirah begann zu zweifeln, " Es ist alles so wunderschön, aber ist es vielleicht Einbildung und existiert nur in meiner Vorstellung?"

Da begann ein Stern, dessen Licht am hellsten funkelte zu der kleinen Nixe zu sprechen, "Tamirah, zweifle nicht. Alles, was Du siehst, existiert wirklich, und bitte verharre hier nicht. Es ist das Land Deiner Zweifel. Wenn Du hier vor Dich blickst, dann siehst Du drei Wege. Wähle einen von ihnen aus, so kommst Du zu einem großen, hölzernen Tor und kannst in das nächste Land gelangen. Aber, überlege es Dir genau. Der eine Weg hier ist sehr steil, auf dem anderen geht es immer nur bergab. Der dritte ist der einfachste, denn er führt nur gerade aus."

Tamirah überlegte sehr lange, welchen Weg sie denn nun wählen sollte. Kaum hatte sie sich für einen entschieden, so begann sie wieder an sich zu zweifeln, ob ihre Entscheidung denn nun richtig war, und sie auf diesem Weg in das nächste Land gelangen konnte.

Da schossen ihr die Tränen in die Augen, denn sie wusste nicht mehr weiter. Aber, sie musste sich schließlich entscheiden, und so wählte sie den Weg aus, der ihr am sichersten schien.   

Tamirah ging schnellen Schrittes den Weg entlang, der bis weit in der Ferne immer gerade aus führte.

Mit einem Male blieb sie stehen und verharrte. Da hörte sie wieder die Stimmen rufen, "Tamirah, komm mir mir, hier entlang. Dies ist nicht der richtige Weg."

Die kleine Nixe fing wieder an zu zweifeln, doch der hellste Stern sprach zu ihr, "Kleine Tamirah, verharre nicht und zweifle. Bleibe auf diesem Weg und gehe weiter. Du möchtest doch ins Land Deiner Fantasie gelangen."

Durch die Worte des Sternes ermutigt, setzte sie ihren Weg zielstrebig fort.

Endlich sah sie in der Ferne ein hölzernes Tor stehen. Sie lief immer schneller, bis sie endlich davor stand.  Auch dieses Mal steckte Tamirah die Schwanzfeder des großen Albatrosses ins Schloss, und das große Tor öffnete sich wie von selbst. 

Vorsichtig trat sie hindurch und dachte bei sich, "Meine Ängste habe ich überwunden, meine Zweifel beseitigt. Was wird mich wohl im Land des verlorenen Glaubens erwarten?"

Kaum hatte Tamirah das Tor durchschritten, da wurde sie von einem so hellen Licht geblendet, dass ihr die Augen schmerzten. Sie hielt sich die Hände vors Gesicht und wartete ungeduldig, was wohl in diesem Land passieren würde.

Plötzlich hörte sie eine liebliche Stimme zu ihr sprechen, "Tamirah, nimm die Hand von Deinen Augen. Ich bin die Sonne. Tritt näher und fürchte Dich nicht. Du wirst gleich etwas Wunderschönes sehen."

Tamirah tat, was die Sonne ihr gesagt hatte, nahm die Hände von den Augen und trat vorsichtig ein paar Schritte hervor. Sie blinzelte immer noch, "Wo bin ich hier?" rief sie und konnte nicht fassen, welche wunderschöne und friedliche  Landschaft dort vor ihr lag.

Überall um sie herum blühten Blumen. Hohe Bäume wogen sich im Wind, und viele tausend Vögel flogen in großen Scharen über sie hinweg. Es war herrlich warm, und nun konnte die kleine Nixe die blutrote Sonne sehen, die unaufhörlich auf sie herunter brannte.

"Ich kann das alles nicht glauben," dachte Tamirah bei sich. "Es ist alles so wunderschön und friedlich hier. Fast so, als wäre ich im Himmel. Viel schöner noch als auf meiner kleinen Koralleninsel. Aber, was ist, wenn das alles gar nicht wahr ist, und nur ein böser Zauber mein Herz verwünscht hat?"

Da sprach die Sonne wieder zu ihr, "Liebe Tamirah, glaube bitte, glaube daran, was Du hier siehst, denn es ist wahr. Ich weiß, was Dein Freund, das Meer immer zu Dir gesagt hat, "Gib Deine Träume niemals auf und glaube daran. Nur, wenn Du den Weg Deiner Träume gehst, wirst Du den Sinn Deines Lebens finden." 

Tamirah sah die Sonne lange an, bevor sie antwortete, "Ja, das Meer hat immer zu mir gesprochen und mir gesagt, ich solle den Weg meiner Träume gehen. Aber bisher habe ich noch keine Antwort auf meine Frage gefunden. Ich bin den Weg meiner Träume gegangen, aber ich bin nie wirklich glücklich gewesen. Nur ein einziges Mal, als ich meinen Prinzen fand, aber er musste sein Leben lassen, als der Krieg über sein Land kam. Warum, liebe Sonne, war ich nur für so kurze Zeit glücklich?"

Die Sonne schickte Tamirah einen besonders hellen Lichtstrahl, der sich wie ein beschützender Schein über ihr Haupt legte.

"Nicht jeden Traum, den Du träumst, kann Dir den Sinn des Lebens zeigen. Du hast viel zu schnell aufgegeben, mein Kind. Wenn Du wirklich auf Deine Träume vertraust, dann wirst Du auch die Kraft zum Leben darin finden. Und schließlich wird Dir auch der Sinn des Lebens bewusst werden. Folge diesem kleinen, schmalen Weg, auf den mein Licht besonders hell scheint. Gehe schnellen Schrittes und bleibe nicht stehen. Am Ende des Weges wirst Du einen großen Wasserfall finden, der in allen Regenbogenfarben leuchtet. Da gehe hindurch, denn dahinter wird jemand auf Dich warten, der Dich sehr lieb hat. Ich werde Dich begleiten, bis Du dort angelangt bist."

Die kleine Nixe war sehr überrascht und konnte nicht fassen, was die Sonne da gesagt hatte. 

Fortsetzung folgt bald.......    

 

Märchen

Startseite