© Grafik by Elke J. Michel

 

SAND
 

Sie spürt es wieder aufsteigen in sich, weiß jetzt schon, sie kann es nicht aufhalten.
Mo ballt die Hände zu Fäusten. Ihre Augenlider ziehen sich zu schmalen Schlitzen zusammen, um besser über den Strand sehen zu können, hinüber zur Würstchenbude, doch das Gegenlicht gönnt ihr keine Sicht. Mo möchte ihre Wut am liebsten hinausschreien. Stattdessen schließen sich ihre Lippen noch fester um die zusammengebissenen Zähne. Jeden Laut vermeiden, bloß nichts rauslassen, ruhig, ruhig. In den Schläfen pocht das Blut, alle anderen Geräusche um Mo herum verlieren sich in diesem Pulsieren.
Das Bilderbuchstrandleben mit dem ferienfröhlichen Treiben kommt ihr vor wie höhnisches Gelächter. Grotesk, diese erwachsenen Menschen auf dem Volleyballplatz, wie sie herumalbern und glücklich sind ...

Sie war vor dieser Reise so sicher gewesen, diese Beziehungssucht genügend bearbeitet zu haben. Auch ihr Therapeut war zuversichtlich gewesen und hatte gemeint, sie würde es schaffen, den Urlaub zu genießen.

Mo’s Hände haben  sich tief in den Sand gewühlt. Hier unter der sonnengewärmten Oberfläche fühlt es sich kühl und dunkel an auf der Haut.
Genauso dunkel und kühl fällt jetzt ein Schatten auf ihren Körper. Als sie hochsieht, steht ihr Mann lachend über ihr. „Schau, ich hab Eis mitgebracht!“
„Wo warst du so lang?“, klagt Mo.
„Na, Eis holen, hab ich doch gesagt. Die paar Minuten? Höchstens zehn, Mo.“
 Er leckt an der Eistüte.
- Zehn Minuten - denkt sie. Eine qualvolle Ewigkeit ....
Tief im Inneren weiß sie doch, sie ist geliebt. Er hat sie unterstützt in der Therapie, alles verstanden, gelernt, mit dieser Eifersucht umzugehen – er liebt mich, glaube es doch endlich, sagt sie in sich hinein.

Sie zieht die geballten Fäuste aus dem Sand, legt sie in den Schoß. Sand quillt zwischen den Fingern hervor. Je fester sie zudrückt, desto mehr verliert sie ...
Mo öffnet die Hände, beobachtet den Sand in den Handflächen. Die kleinen Körner liegen ruhig, kein Druck lässt sie flüchten, weg rinnen ...

Mo sieht auf zu ihrem Mann, der an beiden Eistüten leckt. Er lacht, sagt: „Ich liebe dich, Mo.“
„Ja.“, antwortet sie. „Ich weiß -“ Sie pustet in die Sandhäufchen auf ihren Händen, die Körnchen fallen auseinander.
Mo wirft die Arme in die Höhe und die leichte Abendbrise nimmt den restlichen Sand mit.
„In Liebe loslassen ...“, flüstert sie.
„Was?“, fragt der Mann.
„Ich liebe dich.“, sagt sie.

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Diesen schönen Text hat mir meine langjährige liebe Freundin Elsie zur Verfügung gestellt, bei der ich mich recht herzlich dafür bedanken möchte. Danke, liebe Elsie!
 
 
       Copyright by Elsa Rieger
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