Tamirah auf der Suche nach dem Sinn des Lebens

 

copyright by elke j. michel

im Januar 2002 

Gewidmet meiner lieben Oma

 

 

 

Die Sonne stieg langsam über der unberührten Koralleninsel empor, die wie eine Perle im tiefen, blauen Meer lag. Das Licht spiegelte sich auf dem Wasser in allen Blau- und Grüntönen. Eine unberührte Schönheit der Natur.

In dieser wunderbaren Welt lebte die kleine Nixe Tamirah, deren Vater, der mächtige Herrscher aller Meere war.

Wie jeden Morgen tauchte sie langsam an das Riff heran. Viele bunte Fischschwärme in allen Regenbogenfarben wanden sich um ihren Körper und riefen ihr "einen schönen Morgen" zu. Eine kleine Gruppe Delfine tanzte auf dem stillen Wasser und begrüßte sie freundlich. Tamirah zog sich an Land und setzte sich in den noch feuchten Sand. Sie blickte sehnsüchtig über das Meer bis hin zum Horizont, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Sie war die jüngste von insgesamt zehn kleinen Nixen. Ihr Vater liebte sie sehr und zog sie all ihren Schwestern vor, weil sie besonders lieblich und hübsch war. Sie genoss großes Ansehen unter den Meeresbewohnern und konnte den ganzen Tag tun und lassen, was sie wollte. Dennoch brach die Sehnsucht ihr das Herz. Sie träumte jeden Morgen davon, ein Menschenkind zu sein; eine wunderschöne Prinzessin auf einem prachtvollen Schloss.

Ein leichter, warmer Wind kam vom Meer herüber und kleine Wellen tanzten auf und ab. "Was ist der Sinn des Lebens?" begann sie sich zu fragen. "Ich fühle mich so einsam hier, obwohl ich im schönsten Paradies der Welt lebe. Mein Vater liebt mich über alles, und meine Schwestern beneiden mich. Aber, was ist der Sinn meines Seins?" Dann begann sie mit ihrer lieblichen, wunderschönen Stimme zu singen. Es war ihr Lieblingslied, und jedem Morgen sang sie es mit sehr viel Wehmut im Herzen. "Warum habe ich da, wo die Menschenkinder Beine haben, eine so schreckliche Flosse?" Wieder begann sie zu weinen, und ihr Herz war erfüllt von tiefer Traurigkeit. Sie ließ sich in den Sand fallen, schaute gen Himmel und sah, wie die kleinen Möwen auf den Winböen tanzten. "Ihnen hat der liebe Gott Flügel geschenkt. Sie können fliegen, wohin sie wollen. Ja, Vögel sind sicher glücklicher als ich." Sie bemerkte nicht, wie sie in tiefe Gedanken versunken, plötzlich einschlief.

 

 

Da hörte sie eine geheimnisvolle Stimme zu ihr sprechen. "Liebe Tamirah. Ich bin das Meer, Dein Freund, den Du immer so sehr geliebt hast. In jedem Leben kommt ein mal eine Zeit, da muss man sein Träume verwirklichen. Auch Deine Zeit ist gekommen. Du suchst nach dem Sinn des Lebens? Dann musst Du ihn suchen. Gehe den Weg Deiner Träume, dann wirst Du ihn finden."

Die kleine Nixe erwachte langsam wieder, öffnete die Augen und war völlig verwirrt. Zum ersten Mal hatte das Meer, das sie immer so geliebt hatte, zu ihr gesprochen. 

Plötzlich verdunkelte sich der Himmel , dunkle Wolken ballten sich über dem Meer, und ein starker Sturm zog auf. Die meterhohen Wellen peitschten gegen das Riff und sprangen klatschend wieder zurück. Tamirah erschrak. Da hörte sie wieder die geheimnisvolle Stimme, "Fürchte Dich nicht! Ich bin bin Dein Freund, das Meer. Ich werde Dich immer beschützen. Hab keine Angst und gehe Deinen Weg."

Tamirah ließ sich schnell ins Wasser fallen und tauchte auf den tiefen Meeresgrund hinab, dort, wo die mächtige Göttin des Meeres, Iniris ihrem Tempel hatte. Wie oft hatte sie sich hierher zurückgezogen, wenn sie traurig und ratlos war. Würde die große Göttin ihr auch diesmal einen Rat geben? Sie kniete sich nieder und betete, "Du große Iniris, bitte sage mir, welchen Weg ich gehen muss. Gib mir ein Zeichen und sprich mit mir, Du Erhabene." Iniris` Augen funkelten wie Sterne. Dann begann sie zu sprechen, "Mein liebes Kind. Ich kann Dir keinen Weg zeigen, denn den musst Du selbst finden und auch gehen. Aber höre auf Deine innere Stimme. Du kannst nur den Sinn Deines Lebens finden, wenn Du Deinen Träumen folgst, dann wirst Du ihn erkennen. Aber beachte, dass es ein schwerer und mühsamer Weg ist, oft auch sehr schmerzlich. Du brauchst eine Menge Kraft und einen starken Willen, damit Du nicht vom Wege abkommst. Ich werde Dich beschützen, kleine Tamirah." Das Funkeln in den Augen der Göttin erlosch und sie verstummte.  

 

 

Die kleine Nixe blicke sie noch lange an und fasste den festen Entschluss, sich gleich am nächsten Morgen auf den Weg zu den Menschenkindern zu machen. Doch bevor sie das tat, musste sie ihrem Vater von ihrem Plan berichten. Das fiel ihr besonders schwer, denn er liebte sie doch über alles.

Tamirah schwamm an den spalierstehenden Delfinen vorbei bis zu ihres Vater`s Thron. Der mächtige Herrscher der Meere hatte sich erhoben und sagte mit brummiger Stimme, "Tamirah, mein allerliebstes Kind. Sag, was hast Du mir zu berichten? Ist etwas nicht in Ordnung?" So sagte er, denn er sah die Traurigkeit in ihren Augen. "Mein lieber Vater", begann die kleine Nixe. "Ich muss fort von hier. Ich bin auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Hier kann ich ihn nicht finden. Also, habe ich beschlossen, ihn bei den Menschenkindern an Land zu suchen." "Tamirah", rief der mächtige Triton völlig außer sich. " Du wagst es so mit Deinem Vater zu reden, Du undankbares Kind? Geh, wohin Du willst, aber lasse Dich hier nicht mehr blicken. Ab diesem Augenblick habe ich keine Tochter namens Tamirah mehr. Geh mir aus den Augen. Hinfort mit Dir."

Tamirah war sehr verletzt und traurig. Sie hatte es nicht anders erwartet. Ihr Vater war sehr verbittert über das, was sie gesagt hatte. Sie konnte es ihm nicht verdenken. Ihr Weg nach dem Sinn des Lebens hatte gerade erst begonnen, und schon musste sie stark sein und ihrem eisernen Willen stand halten.

Sie schlängelte sich an den spalierstehenden Delfinen vorbei und schwamm auf das Riff zu. Von hier aus würde sie, wenn die Nacht ganz herein gebrochen war, ihre lange Reise beginnen.

Der Himmel hatte sich wieder aufgeklärt, und die Sonne schien unaufhaltsam. Die große Hitze ließ die kleine Nixe schnell müde werden. Sie musste noch viele Kräfte sammeln für den langen Weg, und so schlief sie ganz schnell auf dem wärmenden Sand der kleinen Insel ein.

In der Nacht wurde sie plötzlich durch lautes Kichern aus dem Schlaf gerissen. Es waren ihre Freunde, die Delfine, die an Land geschwommen waren und der kleinen Tamirah zuriefen "Kleine Tamirah, es ist Zeit aufzubrechen. Es ist schon Mitternacht, und der Mond steht günstig. Komm, lass uns losschwimmen. Wir begleiten Dich bis zu den Inseln der Menschenkinder. Von dort musst Du Deinen Weg alleine gehen."

Tamirah war mit einem Male hell wach. Jetzt war es also so weit. Sie schaute sich noch ein mal nach allen Himmelsrichtungen um, doch sie bemerkte nichts. Dann warf sie sich mit einem kräftigen Klatschen in die Fluten und folgte den Delfinen auf den langen Weg zu den Menschenkindern.

 

 

Sie schwammen unaufhörlich eine Nacht und einen Tag bis in den späten Abend hinein. Dann sahen sie vor sich am Himmel eine große Schar von Möwen vorbei fliegen, die in der böigen Abendluft tanzten und sich dann in die Tiefe stürzten. Hier musste es also sein, das Land der Menschenkinder. Tamirah`s Herz hüpfte vor Freude, als sie die Inseln vor sich sah. Kleine Lichter blitzten in der Dunkelheit, und es schien ihr, als wollten sie ihr sagen, "Komm her zu uns, hier wirst die Antwort auf all Deine Fragen finden."

Die kleine Nixe konnte es kaum noch erwarten vor Neugierde und schwamm, die große Flosse auf -und abwippend, auf den langen, weißen Strand zu. Dort ließ sie sich in den Sand fallen, denn sie war völlig erschöpft von der langen Reise. Sie schloss die Augen und träumte von dem wunderbaren Leben, dass sie in Zukunft haben würde. So sehr war sie in Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkte, wie sie darüber einschlief.

Am nächsten Morgen wurde sie durch lautes Treiben geweckt. Viele Menschen gingen an ihr vorüber, Marktfrauen schrieen und priesen ihre Waren an, kleine Kinder hüpften freudig durch die Menge und spielten. Doch keiner bemerkte die kleine Nixe. Alle gingen an ihr vorüber und schenkten ihr keinerlei Blicke oder Aufmerksamkeit. "Das ist also die Welt der Menschenkinder," dachte Tamirah verzweifelt. "Aber, hat mir die Meeresgöttin nicht gesagt, dass es ein beschwerlicher Weg sein würde, voller Zweifel und auch Schmerz? Ich muss ihn gehen, auch, wenn es mir schwer fällt."

 

 

Sie begann wieder ihr wunderschönes Lied anzustimmen, und mir ihrer lieblichen Stimme sang sie es mit besonders viel Wehmut. Sie schloss ihre Augen und war so in Gedanken verunken, dass sie nicht bemerkte, wie sich ein alter Mann neben sie setzte. "Mein Kind. Dein Lied hat mir über alle Maßen gefallen. Sag mir, wer Du bist. Wo kommst du her, und wo willst Du hin?"  Tamirah schlug die Augen auf und schaute in das mit Falten zerfurchte Gesicht des alten Mannes. "Wer bist du?" fragte sie erschrocken. "Ich bin ein alter Bettlersmann, und wohne hier am Strand in einer kleinen Hütte. Schau, dort drüben kannst Du sie sehen. Aber, sage, wer bist Du?" 

Da begann die kleine Nixe von ihrem Leben zu erzählen und vor allem von ihrem sehnlichsten Traum, eine Prinzessin mit zwei Beinen zu sein. Der alte Mann war sehr berührt, von dem, was er da hörte und erwiderte schließlich "Mein liebes Kind, Beine kann ich Dir leider nicht geben, aber komm mit mir. Ich kenne einen großen Meister, der auch die Kunst des Zauberns beherrscht. Vielleicht kann er Dir helfen. Die kleine Nixe war so sehr erstaunt, dass sie nicht bemerkte, wie ihr der Mund offen stand. Ihr begann das Herz im Leibe zu hüpfen, wenn sie daran dachte auf zwei Beinen zu stehen, und als eine schöne Prinzessin wunderbar tanzen zu können.

"Ja, ich komme mir Dir. Führe mich bitte zu diesem Meister. Komm, schnell, lass uns losgehen." Der alte Mann setzte Tamirah in einen alten Karren, den er immer hinter sich her zog um Vorräte zu sammeln. "Wird es denn lange dauern, bis wir dort sind," fragte die Nixe ungeduldig. "Nein, es ist nicht weit von hier. Schlafe ruhig ein bisschen, und ruhe Dich aus, damit die Zauberkräfte auch richtig wirken können," sprach der Alte. Tamirah tat wie ihr geheißen wurde und schlief  ruhig und fest in dem alten Karren ein, der über Stock und Stein polterte.

Nach einiger Zeit rief der Alte, "Hier sind wir, mein Kind. Das ist das Haus des großen Meisters." Tamirah erwachte sofort und riss die Augen auf. Sie befanden sich in einem tiefen Wald mit riesigen Bäumen. Inmitten einer kleinen Lichtung stand ein altes, märchenhaftes Häuschen mit kleinen Fenstern, einem roten Dach und einem Türmchen darauf. Tamirah war so gespannt, auf das, was nun passieren würde, dass ihr kleines Herz bis zum Halse zu pochen begann.         

 

 

"Lass uns eintreten, Tamirah. Komm gib mir Deine Hand." Der alte Mann trug die kleine Nixe in das Häuschen. Es war wundervoll eingerichtet, mit allen möglichen kleinen Gegenständen, die Tamirah noch nie in ihrem Leben je gesehen hatte. Da stand der große Meister plötzlich im Raum, beschaute sich die kleine Nixe ganz genau und fragte sie, "Nun, mein Kind. Du möchtest also zwei Beine haben wie die Menschenkinder? Hast Du Dir das auch gut überlegt?" "Ja, ja," rief Tamirah voller Erwartung. "Nun gut, dann will ich mit meinem Zauber beginnen. Aber bedenke, wenn ich Dir ein mal die Beine herbei gezaubert habe, dann behältst Du sie bis an Dein Lebensende. Denn ich kann den Zauber nicht mehr rückgängig machen. Das können nur böse Hexen und Geister." "Ja, ja," drängelte Tamirah. "Nun beginn doch endlich mit Deinem Zauber.

Der Meister erhob die Hände, hielt sie über den Kopf der kleinen Nixe und begann etwas Unverständliches zu sprechen. Plötzlich durchfuhr Tamirah ein heftiger Schmerz in ihrer Flosse, und als ihr Blick an ihrem Körper hinunter glitt, sah sie, dass diese verschwunden war. Dort, wo sie gewesen war, hatte sie jetzt zwei schöne, schlanke Beine. Sie sprang voller Freude auf und begann auf den Zehenspitzen im Kreise zu tanzen, bis ihr schwindlig wurde. "Danke, danke, Ihr Beiden. Ihr seid so gut zu mir gewesen. Jetzt muss ich aber meinen Weg fortsetzen, denn ich bin doch auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Lebt wohl." So rief sie und sprang mit eiligen Schritten in den tiefen Wald hinein. Sie lief so schnell wie  ihre neuen Beine sie trugen, bis sie plötzlich vor Erschöpfungen stehen bleiben musste. "Ich muss mich ein wenig ausruhen", dachte sie. "Ich muss meinen Weg auf der Suche nach dem Sinn des Lebens langsam gehen. Verlangt er doch viel Geduld und Kraft."

Sie ließ sich ins Gras fallen, schloss die Augen und  träume vor sich hin.  Dann stimmte sie ihr Lieblingslied an, und diesmal sang sie es voller Glück. Plötzlich hörte sie unweit von ihr eine gequälte Stimme kläglich rufen, "Hilfe, Hilfe!" rief da jemand. Tamirah sprang auf und folgte der Stimme. Und tatsächlich, im Schatten eines riesigen Baumes lag ein schöner, junger Mann, an dessen Arm eine große Wunde klaffte.  

 

 

 

"Wer bis Du, und was ist geschehen?" fragte Tamirah besorgt. "Ich bin Uriel, der Sohn des mächtigen Königs in diesem Land. Mein Pferd hat mich abgeworfen, und ich wurde besinnungslos. Erst, als ich Dich so wundervoll singen hörte, erwachte ich aus meiner Ohnmacht," erwiderte der Prinz. "Aber, sage mir, Du wunderschönes Mädchen, wer bist Du?" "Mein Name ist Tamirah, Tochter des mächtigen Tritons, dem Herrscher alles Meere. Ich bin auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und des Glücks. Dich zu finden, dass war mein größter Traum, und nun ist er wahr geworden," antwortete Tamirah voller Freude. "Ich verstehe nicht ganz, was Du damit sagen willst, aber, komm mit mir auf mein Schloss. Dort wirst Du mir alles genau erzählen." Der Prinz sattelte sein Pferd, sie stiegen auf und ritten los.

Es dauerte nicht lange, da näherten sie sich einem wunderschönen und prachtvollen Schloss. Ringsherum  war es von hohen Bäumen und Felsen umgeben, und daneben plätscherte ein kleiner Fluss. Tamirah traute ihren Augen nicht. So etwas Prachtvolles hatte sie noch niemals in ihrem Leben gesehen. Das musste ein großer Herrscher sein, der dieses mächtige Schloss sein Eigen nennen konnte. Sie ritten in den Schlosshof, sprangen aus dem Sattel und betraten die riesige Eingangshalle. In einem wunderschönen Raum, der mit einem Karmin ausgestattet war, setzten sie sich nieder, und der Prinz bat Tamirah mehr über ihr Leben zu erzählen. Das Mädchen tat, wie der Prinz verlange und erzählte ihm von ihrem Leben. Sie berichtete von der wunderschönen Koralleninsel, den Fischen und Vögeln, und von den Delfinen, die sie so sehr geliebt hatte. Der Prinz hörte wie gebannt zu und war so fasziniert, dass er schließlich sprach, " Mein liebes Mädchen, Du bist so wunderschön, und Deine Geschichte hat mich zu tiefst berührt. Deine Stimme und Dein Gesang haben mich verzaubert. Du bist es wert, Prinzessin zu sein und Herrin auf meinem Schloss. Sag, willst Du meine Braut werden?" Tamirah stockte der Atem. Bis jetzt hatte sie ihrem Weg so gut gemeistert. Alles war so eingetroffen, wie sie es sich erträumt hatte. "Ach, wie gern," rief sie und umarmte den Prinzen so heftig, dass dieser fast keine Luft mehr bekam.

Einige Tage später wurde die Hochzeit gefeiert. Es war ein prächtiges Fest, und alle Mächtigen des Landes waren dazu eingeladen. Tamirah war eine wunderschöne und glückliche Braut. Sie wurde von Allen wegen ihrer großen Schönheit bewundert und bestaunt. Das Fest dauerte sieben Tage und sieben Nächte,  und jeder im Reiche durfte essen und trinken so viel er wollte. Und alles auf Kosten des Königs.

So lebten Tamirah und ihr Prinz eine Weile sehr glücklich und zufrieden auf ihrem wundervollen Schloss.

Eines Tages trat der Prinz in die Gemächer der Prinzessin und machte ein ganz niedergeschlagenes Gesicht. Da fragte ihn Tamirah voller Verwunderung, "Mein, Prinz, was ist geschehen? Was grämst Du Dich so?" "Ach, meine kleine Prinzessin," begann er traurig. " In unserem Lande ist der Krieg ausgebrochen, und ich als ältester Sohn des Königs habe die Aufgabe zu Felde zu reiten um unser großes Heer anzuführen. Ich bin dazu auserwählt, denn ich muss die bösen Mächte bekämpfen, die unser Land bedrohen. Ich muss Dich verlassen, und ich weiß nicht, ob ich je wiederkehren werde. Es ist vielleicht das letzte Mal, dass ich Dich sehen und in den Armen halten darf." Es zerbrach im das Herz, als er das sagte. Die Stimme voller Tränen getränkt, lief er aus dem Gemach in den Schlosshof hinunter, sprang in den Sattel, knallte kurz mit der Peitsche und preschte eilig davon.

 

 

Tamirah begann so bitterlich zu weinen und schluchzte so heftig, dass sie an ihren Tränen zu ersticken drohte. Sie lief ans Fenster, wo sie gerade noch sah, wie ihr Prinz als ein kleiner Punkt in der Ferne verschwand. Sie weinte ohne Unterlass und ließ sich schließlich auf ihr Bettchen fallen, wo sie das Gesicht tief in die Kissen vergrub. Sie war so erschöpft vom vielen Weinen, dass sie plötzlich der Schlaf überkam.

Da hörte sie wieder die geheimnisvolle Stimme. Aber diesmal war sie ganz leise und sehr weit entfernt.           

"Liebes Kind, ich bin Dein Freund, das Meer. Du bist Deinen Weg gegangen und hast nach dem Sinn des Lebens gesucht. Du hast an Deinen Traum geglaubt, und das ist das Wichtigste. Verzage nicht, auch, wenn es schmerzlich ist. Denn oft ist der Weg, den wir gehen, eine Täuschung und von Schmerz begleitet. Aber, vergiss nicht, dass wir gerade daraus lernen, worin der Sinn des Lebens wirklich besteht. Hab keine Angst, denn ich werde Dich immer beschützen. Ich bin Dein Freund."

Die kleine Prinzessin schlief die ganze Nacht hindurch ohne aufzuwachen. Als sie am nächsten Morgen wieder langsam zu sich kam, dachte sie über die Worte nach, die das Meer gesprochen hatte. Ja, sie glaubte, sie hätte ihr Glück gefunden. Aber es war so kurz. Der Schmerz darüber, dass sie den Königssohn nie mehr wieder sehen sollte, brach ihr das Herz. Sie sann den ganzen Tag darüber nach, was das Meer damit gemeint hatte, dass der Weg eine Täuschung sein könnte, und wir gerade aus dem Schmerz erkennen, worin der wirkliche Sinn des Lebens liegt. Plötzlich durchfuhr es sie. Hatte das Meer gemeint, dass ihr Platz auf der kleinen Koralleninsel bei ihrem Vater, den Schwestern und all ihren lieben Freunden sei? War der Sinn ihres Lebens, eine kleine Nixe zu sein, die das Meer, die Natur mit all der Vielzahl ihrer Bewohner so sehr liebte? Oder war es das Leben als Prinzessin auf dem Schloss in Einsamkeit und Sehnsucht? Sie fühlte sich hin- und hergerissen von ihren Gedanken. Ja, sie hatte die Liebe kennen gelernt. Das Kostbarste, was es auf der Welt gab. Aber, die schreckliche Einsamkeit und die Sehnsucht hoben dieses wunderbare Gefühl  wieder auf. 

"Ja, ich will wieder heim kehren zu meinen lieben Vater, den Schwestern und all meinen Freunden. Ich werde ihnen davon berichten, welch wunderbares Gefühl die Liebe ist. Dass man seine Träume nicht aufgeben soll, und das man sich auf den Weg machen muss, um den Sinn des Lebens zu finden. Sonst wird man immer nur davon träumen, und niemals richtig glücklich sein.

Sie warf sich einen warmen Mantel über und lief  aus dem Schloss in den tiefen Wald hinein. Sie musste so schnell sie konnte zu dem großen Meister gelangen und ihn um Rat fragen. Es war inzwischen Winter geworden, und der Schnee knarrte unter ihren Füßen.       

 

 

Als sie schon lange gelaufen war, sah sie plötzlich das kleine, alte Häuschen des Meisters in der Ferne stehen. Sie eilte darauf zu und trat ein. Der alte Mann saß in einem großen Lehnstuhl und schnarchte laut. Da rief die kleine Tamirah verzweifelt, "Großer Meister, wach bitte auf. Du musst mir helfen. Ich bitte Dich." Der alte Zauberer erwachte langsam, gähnte herzhaft, runzelte dann die Stirn und fragte voller Verwunderung, "Mein Kind, warum bist Du zurück gekommen? Bist Du nicht auf der Suche nach dem Sinn des Lebens?" "Das ist es ja gerade. Ich glaube, ich habe ihn jetzt gefunden. Du musst mir helfen, damit ich wieder zu meiner kleinen Koralleninsel im Meer gelangen kann," rief Tamirah bettelnd. Der alte Meister brummte etwas in seinen Bart und sagte dann, "Nun, ich will es versuchen. Es ist nicht leicht, denn es ist ein weiter Weg dort hin, und ich bin nicht sicher, ob meine Zauberkräfte dafür ausreichen. Setze Dich hier her, schließe Deine Augen und sei ganz ruhig. Wenn ich den Zauberspruch ausgesprochen habe, wirst Du in einen tiefen Schlaf fallen, und so lange schlafen, bis Deine Reise beendet ist."

Tamirah tat, wie der alte Mann befohlen hatte. Er legte seine Hand auf ihre Stirn, die andere auf ihren Bauch. Dann begann er mir einem langen, unverständlichen Zauberritual. Plötzlich wurde es dunkel um Tamirah...

Sie lag drei Tage und drei Nächte in tiefem, bewusstlosem Schlaf. Plötzlich wurde es hell und warm um sie herum, aber sie traute sich nicht, die Augen zu öffnen. Da hörte sie ein leises Kichern und Lachen. Tamirah schlug die Augen auf...und wirklich, da lag sie im weißen Sand ihrer Koralleninsel. Die Wellen tanzten auf und ab, und das Kichern der Delfine, das ihr so vertraut war, wurde immer lauter.

"Tamirah, wie schön, dass Du wieder da bist. Wir alle freuen uns so sehr," riefen ihr die lieben Freunde zu.

Plötzlich ertönte ein lautes Plätschern, und das Meer riss auf. Da tauchte der mächtige Triton aus den tiefen Fluten empor. Er streckte seinen Kopf aus dem Wasser und rief seiner geliebten Tochter freudig zu, " Mein liebes Kind, ich bin so froh, dass Du den Weg zu mir zurück gefunden hast. Komm, lass Dich umarmen." Tamirah lief so schnell sie konnte ins Wasser und schloss ihren Vater voller Tränen in die Arme. Als der mächtige Herrscher der Meere sah, wie seine kleine Tochter auf zwei Beinen zu ihm gelaufen kam, war er völlig verwirrt und fragte ganz erstaunt, "Tamirah, was ist passiert? Wo ist Deine Flosse, und warum hast Du zwei Beine wie ein Menschenkind?" "Ach, Vater, das ist eine lange Geschichte. Aber, ich werde Dir alles berichten, was mir widerfahren ist." Tamirah begann bitterlich zu weinen und erzählte, was sie bei den Menschenkindern erlebt hatte.

Der mächtige Triton war sehr berührt und antwortete schließlich, "Meine liebe Tochter, Du hast den Mut gehabt, den Sinn des Lebens zu suchen. Dieser Weg war sehr beschwerlich und hart, aber er hat Dir gezeigt, dass man niemals aufhören sollte, zu träumen. Sei nicht mehr traurig. Es ist keine Schande, dass Du den Weg, den Du gegangen bist, wieder zurück gekehrt bist. Seine Träume sollte man niemals aufgeben. Glaube mir, Du hast das Richtige getan. Du bist den Weg Deiner Träume gegangen und warst glücklich, wenn auch nur für eine kurze Zeit. Es schmerzt mich so sehr, dass ich so grausam zu Dir war, als Du mich verlassen hast. Denn ich glaubte, ich hätte Dich für immer verloren. Dein Platz ist an meiner Seite, solange Du es willst. Aber, wenn die Zeit gekommen ist, dann musst Du Deinen Weg gehen. 

Tamirah schloss ihren Vater noch fester in die Arme. "Soll ich Dir sagen, was der Sinn des Lebens ist?" sagte der mächtige Herrscher. Tamirah sah ihren Vater voller Erstaunen an..."Nun, der Sinn des Lebens ist, dass man sich seine Träume erfüllen sollte, auch, wenn man bemerkt, dass man ein mal den falschen Weg gegangen ist. Es wird eine Zeit kommen, da wirst Du Dich wieder auf die Suche machen." Die kleine Nixe drückte ihren Vater ganz fest, und die Tränen rollten ihr übers Gesicht. "Danke, Vater, dass Du mir die Augen geöffnet hast. Ich werde geduldig warten. Irgendwann ein mal werde ich wieder einen Traum haben. Dann werde ich mich erneut auf den Weg machen, um den Sinn des Lebens zu suchen."

Triton setzte seine kleine Tochter auf seinen Rücken, und sie verschwanden in den Tiefen des Meeres. Die Sonne glänzte golden über dem Horizont. Die kleine Koralleninsel begann wie eine Perle zu leuchten, und die Delfine tanzten auf den Wellen. 

Es war ein wundervoller Anblick, und ein neuer Tag begann.... 

 

Fortsetzung folgt bald.......

 

 

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