Interviewer: Wie ist es Ihnen mit der Verwandlung gegangen?
Schmetterling: Überraschend gut.
Interviewer: Und wie war das, als es losging?
Schmetterling: Es kam als eine große Überraschung. Es kam von tief innen und war sehr stark. Ich spürte plötzlich eine riesige Sehnsucht und wusste nicht wonach. Erst habe ich mich dagegen gewehrt, weil es so fremd war. Dann merkte ich aber, dass es größer war als ich und ich konnte nur noch stillhalten und es an mir geschehen lassen. Es war, als riefe mich eine Tiefe, der ich nicht widerstehen konnte. Ich folgte einem inneren Ruf.
Interviewer: Es war also nicht direkt Ihre Entscheidung. Sie fühlten sich gedrängt und geschoben. Verstehe ich das richtig?
Schmetterling:
Ja, und zuerst war es beängstigend. Ich hatte mich so an mein Raupendasein
gewöhnt, dass es für mich nichts anderes mehr gab. Aber dann kam ich an den
Punkt, an dem ich merkte, dass ich selbst dieses aufregende Erlebnis wollte.
Ich hatte früher manchmal schon eine Ahnung oder den Traum, dass es
vielleicht so etwas wie eine Verwandlung geben könnte. Daran muss ich mich
wohl erinnert haben, als es losging. Ich wehrte mich nicht mehr und merkte
darin meine eigene Verwandlung.
Was hier geschah, war furchtbar - schön!
Interviewer: Haben Sie sich dann auf Ihre Verwandlung gefreut?
Schmetterling: Zuerst nicht. Ich wusste ja nicht, was auf mich zukam. Ich war als Raupe sehr glücklich. Wissen Sie, so den Tag mit einem grünen, etwas klebrigen Blatt zu beginnen und zu wissen , dass man an dem Blatt einen halben Morgen essen kann, hat etwas sehr Beruhigendes. Natürlich muss man sich dabei vor den Vögeln in Acht nehmen. Aber da geht es einem als Schmetterling auch nicht besser.
Interviewer: Wie war Ihnen zumute, als Sie sich eingesponnen und einen Kokon gebildet haben?
Schmetterling: Ja, das war schon etwas Seltsames. Es kam plötzlich über mich! Ich konnte einfach nicht anders. Eben war ich noch eine Raupe mit einem klaren übersichtlichen Lebensplan, und im nächsten Moment machte ich Sachen, die mir selbst total fremd waren. Aber ich vertraute einer inneren Weisheit. Ich nahm einfach an, dass der Prozess richtig war.
Interviewer: Beschreiben Sie doch einmal das Ausschlüpfen.
Schmetterling: Das war das Seltsamste von allem. Als ich mich ganz und gar eingepuppt hatte, schien mein Leben zu Ende zu gehen. Ich konnte nicht mehr sehen und hören. Zeitweilig konnte ich nicht einmal mehr atmen. Alles, was ich kannte, war verschwunden, und ich wusste plötzlich nicht mehr, wer ich war. Das Ausschlüpfen selbst war wie Sterben und Geborenwerden in einem. Das Sterben war furchtbar und das Geborenwerden war herrlich. Ich wusste nicht, ob ich litt oder ob ich mich freuen sollte. Diese beiden Empfindungen lagen so nah beieinander, dass es unmöglich war, sie zu trennen. Dann begann langsam das Gefühl des Geborenwerdens zu überwiegen, und das Empfinden neuen Lebens wurde so übermächtig, dass ein tiefes Glück mich durchzog. Durch dieses Glück hatte ich die Kraft auszuschlüpfen. Es gibt Raupen, die stecken bleiben, weil sie zu sehr an dem Alten hängen und es nicht loslassen können. Sie sterben dann in ihrem Kokon und entdecken nicht das neue Leben in dem Tod des alten.
Interviewer: Wie geht es Ihnen nun mit Ihrem neuen Leben? Vermissen Sie ihr altes Leben als Raupe?
Schmetterling: Eigentlich wenig. Es scheint schon lange her zu sein - es sind schon fast drei Tage, und ich genieße jeden Augenblick. Bei aller Freude, die ich als Raupe hatte, ist doch die Fähigkeit, von Blume zu Blume zu fliegen und eine neue Wirklichkeit zu entdecken, etwas Wunderbares. Sagen wir es so: Ich genieße mein neues Dasein.
Interviewer: Meinen Sie, dass Sie sich noch einmal verwandeln werden und sind Sie dazu bereit?
Schmetterling: Ich weiß es nicht. Ab und zu spüre ich, dass dies nicht das Ende ist. Vielleicht ist es sogar erst der Anfang, aber ganz bereit werde ich wohl nie sein. Dazu ist das Leben zu tief und zu abenteuerlich.
(Verfasser unbekannt)